Wetzlar-erleben-Marathon: Zweiter Erkundungslauf vom Finsterloh zum Festplatz Naunheim
Zum Erkunden der zweiten Hälfte der Strecke waren deutlich mehr Läufer erschienen als für den ersten Teil. Glück gehabt: der Teil von Magdalenenhausen zum Festplatz Naunheim weist deutlich weniger positive Höhenmeter auf als die Strecke der letzten Woche!
Da ein Teil der Erkundungsläufer beim ersten Lauf nur das erste Drittel bis zum Finsterloh absolviert hatten, starten wir hier.
Nach der Überquerung der Frankfurter Straße folgen wir der Forsthausstraße bis zum Kreiskrankenhaus und passieren linker Hand ein Gewerbegebiet und auf der rechten Seite das Druck- und Verlagshaus der Heimatzeitung WNZ. In Höhe der Volpertshäuser Straße orientieren wir uns am Wegweiser zum Kirschenwäldchen. Vom Parkplatz an der Schutzhütte des Wetzlarer Lauftreffs genießen wir eine herrliche Aussicht über das Lahntal und den östlichen Westerwald, während wir uns hier geographisch im Hintertaunus befinden. Wir laufen auf dem Fußpfad parallel zur Straße durch den Laubwald unterhalb des Gipfels des Stoppelbergs, bis zum „Wochenendhaus“ Gebiet Kirschenwäldchen, in dem Residenten im Laufe der Zeit stattliche Wohnhäuser gebaut haben. Hinter der Ausfluggaststätte mit dem beliebten Biergarten biegen wir nach rechts in den Schnepfenweg, der in den Brunnenweg übergeht und biegen nach knapp 800 m in einen bergab führenden Singletrail links ab, der uns nach Nauborn ins Siebenmühlental hinab führt.
Der zweitgrößte Wetzlarer Stadtteil hat auf Grund seiner landschaftlichen Lage als Wohnort große Attraktivität. Mit der Firma Hundt hat sich hier ein weiterer erfolgreicher, weil innovativer, mittelständischer Betrieb auf dem Gebiet der Optik, Faseroptik, Elektronik und Feinwerktechnik angesiedelt. Im hübschen Ortskern überqueren wir auf einem der zahlreichen Brücklein den Wetzbach und laufen an der Sporthalle nach links auf der steil ansteigenden Straße am Friedhof (Gelegenheit zum Wasser fassen) entlang. Hinter dem Friedhof stossen wir auf die Bergstraße, der wir nach links folgen. Ab der Strasse „am Wingert“ haben wir einen knappen km Anstieg vor uns. Wir befinden uns nun im Naturschutzgebiet Weinberg. Die weitläufige von Trockenrasen bestimmte Fläche wurde vom Bergbau, extensiver Landwirtschaft, Schafhutung und Nutzung als Truppenübungsplatz (Panzerspielplatz) der Wetzlarer Garnisionen geprägt. Nach der Aufgabe der militärischen Nutzung wurde das Gelände wegen seiner seltenen Pflanzengesellschaften und Tierwelt unter Naturschutz gestellt und wird vor Verbuschung durch die Beweidung mit Schafherden geschützt. Auf der Höhe passieren wir Infotafeln und laufen auf ein Wäldchen zu. Ein Blick zurück zum Stoppelberg und weiter hinten zum Klinikhochhaus lohnt sich. Der Weg führt uns leicht ansteigend zum ehemaligen Hofgut Magdalenenhausen.
Das im 17.Jahrhundert als Residenz der Fürstin Magdalena von Solms erbaute schmucke zweistöckige Fachwerkhaus ist ein beliebtes Ausflugsziel. Hier ist die Hälfte der Marathonstrecke mit Start in Naunheim geschafft und die Gruppe, die den zweiten Teil erkunden will, trifft sich hier mit denen, die schon die sieben km von Naunheim durch die Stadt hier hoch gejogged sind. An einer weiteren Hinweistafel halten wir uns halb rechts und laufen über einen Weg durch die vertrocknete Weide bis wir nach 100 m zu einem Pfahl mit einem Wegzeichen kommen. Hier folgen wir dem Weg erst nach links und biegen gleich wieder nach rechts in einen Single Trail ab, der uns durch den schattigen Wald ins Lahntal nach Steindorf bringt. Am Ortsrand von Steindorf könnten wir rechts den Wirtschaftsweg benutzen. Wir laufen jedoch geradeaus weiter und nehmen den Weg durch das Dorf. Wir passieren den Friedhof, wo sich das Auffüllen der Trinkflaschen lohnt, denn erst in Niedergirmes werden wir wieder an einem Friedhof vorbei kommen. Der Ortskern ist mit schönem Fachwerk und einer hübschen Dorfkirche geschmückt. An der Kirche halten wir uns halbrechts und gelangen an die Braunfelser Straße, die uns nach rechts kerzengerade in die Kernstadt führt.
Auf der gegen überliegenden Lahnseite thront das Kloster Altenberg über dem Fluß. Hierhin brachte der Legende nach die Elisabeth von Thüringen ihre Tochter Gertrudis im Kleinkindalter zu Fuß von Marburg, um sie von den Klosterfrauen aufziehen zu lassen und wohl auch, um sich ungestört den Ruf einer Wohltäterin der Armen erwerben zu können, was sich hilfreich bei der Kanonisierung erwies. Links von unserer Straße liegt ein weiteres Gewerbegebiet mit High Tec Firmen, rechts der Straße war früher der Standort der Sixt von Arnim Kaserne. Nach der erfolgreichen Konverson hat sich das „Westend“ in eine lebenswerte Wohngegend gewandelt. Irgendwann ändert die Braunfelser Str. ihren Namen in Ernst-Leitz-Str. . Das Hohe Gebäude mit dem markanten Übergang über die vierspurige Straße beherbergt die Produktionsstätte der Leica Microsystems, die Mikroskop- und Messtechnik für Biowissenschaften, Medizintechnik und Materialwissenschaften herstellt. Der Übergang führte früher in den Verwaltungstrakt des Leitzwerks. Das Verwaltungsgebäude wurde an die Stadt Wetzlar verkauft und ist jetzt das Neue Rathaus der Stadt.
Unmittelbar nach dem Leica Komplex erreichen wir den verkehrsreichen Leitzplatz, unter dem wir durch eine Fußgängerunterführung in die malerische Altstadt gelangen. Wir durchlaufen die Silhöfer Tor Straße und stoßen auf den Schillerplatz mit seinen zahlreichen Fachwerkbauten. Das große gelbe Gebäude rechter Hand ist das ehemalige Franziskanerkloster, in dem heute die Musikschule unter gebracht ist. Das Haus mit dem roten Fachwerk und den markanten doppelten Zwerchhäusern ist das Jerusalemhaus. Hier lebte und tötete sich jener unglückliche Jurist, der im Werther eine Hauptrolle spielt. Goethe was here! Der Schillerplatz ist mit seiner Gastronomie ein Zentrum der Geselligkeit. Auch findet hier die Schillerplatzkirmes, ein Sommernachtsweinfest und ein Teil des Weihnachtsmarkes statt. Wir laufen nach links die Silhöfer Str. mit netten Geschäften empor und gelangen zum Eisenmarkt, dem nächsten Fachwerkhöhepunkt. Die alte Münz ist wohl das größte und kunstvollste Fachwerkhaus der freien Reichsstadt. Am Barbarabrunnen nehmen wir rechts die Rosstrappen in Angriff und sehen uns nach wenigen Höhenmetern einer der größten Bausünden Wetzlars gegenüber, dem Stadthaus am Dom. Das Betonmonster sollte beim Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg Wetzlar architektonisch in eine Neue Zeit führen. Jetzt ist es marode und Schadstoff belastet und wird in Kürze abgerissen. Leider ist zu bedürchten, dass der Nachfolgebau genau so wenig zur Wetzlarer Altstadt passen wird. Welch eine Ironie, dass auf der gegenüber in der Brodschirn Gasse eine Reihe der schönsten Fachwerkhäuser steht, darunter das älteste Haus Wetzlars und das Haus in dem August Bebel, der Mitbegründer der Sozialdemokratie, seine Jugend verbrachte.
Das Haus mit dem schwarzen Doppeladler in dem sich jetzt ein Cafe befindet beherbergte einst das Reichskammergericht. Goethe was here, allerdings recht selten. Direkt an den Fischmarkt anschließend stoßen wir auf Wetzlars Gut Stub, den Domplatz. Der Wetzlarer Dom im romanischen Stil begonnen, im gotischen Stil weitergebaut und im barocken Stil nie zu Ende gebaut vermag Eindruck zu schinden, obwohl es strittig ist, ob er den Titel Dom zu Recht führt. Wetzlar war nie Bischofsstadt! Eine besondere Stellung nimmt der größte Sakralbau der Stadt als älteste Simultankirche ein. Evangelische und katholische Gemeinde teilen sich das Gotteshaus! Zur Zeit ist der Dom verhüllt, nicht im Gedenken an den kürzlich verstorbenen Künstler Christo, sondern weil umfangreiche Konservierungsarbeiten an der Fassade durchgeführt werden müssen. Der Domplatz wird umrahmt von klassizistischen Bürger- und Handelshäusern und wirkt besonders schön, wenn sich eine Gruppe von Läufern auf ihm verteilt.
Wir verlassen den Domplatz durch die Schwarzadlergasse und laufen durch die Krämergasse und die Lahnstraße auf die alte steinerne Lahnbrücke zu, die zu den beliebtesten Fotoobjekten der überwiegend asiatischen Lehrgangstteilnehmern der Leitzakademie zählt.
An der Hospitalkirche vorbei kommen wir zu einer Unterführung unter dem Karl-Kellner-Ring und gelangen in die Neustadt mit der gleichnamigen Straße. Direkt nachdem wir die Dill überquert haben biegen wir rechts auf einen Radweg ab, um einen beschrankten Bahnübergang zu vermeiden. Wir folgen dem Radweg dillaufwärts, laufen unter der Eisenbahnbrücke durch und biegen vor der Brücke über die die B49 führt nach links ab. Wir passieren das Röhrenlager von Buderus Guss (jetzt DUCTUS). Wetzlar ist neben dem Zentrum der optischen Industrie, auch Zeiss hat mit Hensold einen Standort in Wetzlar, auch traditionell für seine Schwerindustrie von Bedeutung. Wir laufen parallel zur Bahnlinie zurück zur Altenberger Straße. Hinter dem GLOBUS Baumarkt biegen wir rechts in die Berghäuser Str. und gelangen über den Parkplatz eines Edeka Marktes zum Dalheimer Kreisel, von dem wir ein Foto machen, um zu beweisen, dass wir hier waren. Hier ist das zweite Drittel unseres Marathons zu Ende. Der Ortsbezirk Dalheim hatte durch die Ansiedlung von Heimatvertriebenen in den Fünfziger Jahren seinen Aufschwung. Sozialer Wohnungsbau bestimmt das Bild. Wir laufen am Sportplatz Klosterwald der Wetzlarer Eintracht entlang ein kurzes Stück nach Dalheim hinauf, biegen hinter dem Sportplatz auf den Radweg nach Dillenburg rechts ab und laufen entlang der B277 durch das Dillfeld nach Hermannstein. Auf der anderen Seite der vierspurigen Bundesstraße das übliche Sammelsurium von Speditionen, einem Baumarkt, Autohäusern und dem Wertstoffhof. Den unattraktivsten Teil unserer Marathonstrecke lassen wir nach einem km hinter uns.
Wir überqueren die B277 über eine Brücke und können von dort über das Edelstahlwerk von Buderus blicken. Das Werk verfügt über einen der größten Schmiedehämmer weltweit und ist führend in der Produktion von Edelstahlwerkstücken, die als Wellen für Turbinen in Kraftwerken zum Einsatz kommen. Wir passieren das Lager und den großen Torkran im Verladehof. Bevor wir in Hermannstein ankommen, müssen wir erneut über die Dill und über einen beschrankten Bahnübergang, den wir leider nicht umlaufen können. Wir überqueren die Wetzlarer Straße und kommen am alten Backhaus vorbei auf dessen Rückseite eine alte Dame (aus Bronze) mit ihrem Brotlaib auf der Bank sitzt. Nach der Überquerung der Blasbacher Straße umrunden wir die alte Kirche des Ortes und erhaschen einen Blick auf die aus dem 14. Jahrhundert stammende Burg. Eine Besonderheit der Burg ist die Bauweise in Anlehnung an den in Frankreich gebräuchlichen Donjon. Der Wohnturm ist in Privatbesitz und kann nur von aussen besichtigt werden. Bemerkenswert ist auch das ehemals zur Burg gehörende Hofgut mit seinen Fachwerkgebäuden. Wir schlagen den Fußweg entlang des Blasbach ein und laufen unter Bäumen aus dem Ort.
Die folgenden vier km bleiben wir auf dem Radweg der durch Felder und Wald durch das Blasbachtal führt. Mehrmals müssen wir die Kreisstraße überqueren. Blasbach ist der kleinste Wetzlarer Stadtteil (1000 Einwohner). Blasbachs Reiz macht eindeutig seine Lage umgeben von Höhen und Wäldern aus. Wir erreichen den Ort und stellen fest, dass das Ortsschild wieder einmal geklaut ist. Wir kreuzen die Kreisstraße und laufen durch die Straße Am Kessler auf den alten Ortskern zu. An der Dorflinde biegen wir scharf rechts ab in den Naunheimer Weg. Der Wirtschaftsweg, der häufig trotz Durchfahrverbot heftig von Fahrzeugen aller Art frequentiert wird, zieht sich über die nächsten 500 m stetig bergan. Wir haben beim Marathon noch 6 km zu laufen, da kann es sein, dass der Hammermann früher als sonst seine Aufwartung macht. Auf der Höhe biegen wir am Zollstock rechts ab und folgen dem Wegweiser in Richtung Wetzlar. Der Weg führt bald in den Wald. Vorher sollten wir den Blick ins Blasbachtal noch einmal genießen.
Nachdem wir wieder das freie Feld erreicht haben geht es überwiegen leicht bergab. Wir laufen über eine Autobahnbrücke und passieren den ehemaligen Kalksteinbruch, der den Rohstoff für das Buderus Zementwerk lieferte. Wieder geht es kurz etwas bergan und wir kommen zum Schauinsland auf dem Simberg. An der ehemaligen Ausflugsgaststätte laufen wir geradeaus einen Schotterweg hinunter ins Lahntal. Hier ist Vorsicht geboten: schwere Beine und viele Steine sind eine gefährliche Kombination so kurz vor dem Ziel! Hier hat sich vor kurzem jemand eine schicke Villa, die ihren Weg ins Schöner Wohnen Magazin finden könnte, mit Sahneblick über Wetzlar gebaut.
Im Tal kommen wir am Friedhof von Niedergirmes an. Man muss keine morbiden Gelüste haben, aber dieser Friedhof ist mit seinem alten Baumbestand einer der hübschesten Friedhöfe im Stadtgebiet. Praktisch an ihm ist zudem, dass sich im rechten der zwei Torhäuschen eine Toilette befindet. Das ehemals selbstständige Niedergirmes ist stark von der hier ansässigen Montanindustrie geprägt. Eines muss man den alten Kapitalisten lassen: obwohl die Arbeiter knapp gehalten wurden und die sozialen Verhältnisse zu wünschen übrig ließen, sorgten die Patriarchen dafür, dass Wohnraum für die Arbeiterfamilien zur Verfügung stand und dass der Arbeiter einen sicheren Arbeitsplatz hatte so lange er gefügig war. Arbeitersiedlungen bestimmen zum Großteil das Ortsbild. Wer „beimRöchling“ schaffte, konnte damit rechnen, dass die Maloche am Hochofen ihn nicht alt werden ließ, aber er konnte auch davon ausgehen, dass er seine Söhne im Werk unterbringen konnte. Niedergirmes ist heute der bunteste Stadtbezirk, da sich Arbeitsmigranten vorwiegend aus der Türkei bevorzugt hier niedergelassen haben.
Von Niedergirmes gelangt man nach Naunheim ohne dass man es bemerkt. Wir laufen eine kurze Strecke nach Norden, nehmen die nächste Fußgängerunterführung und streben auf dem Radweg entlang der Strasse dem Festplatz, unserem Ziel entgegen.
Wir finden, die Strecke ist nicht anspruchslos, aber sie hat einiges an Landschaft und gewiss auch an Kulturellem zu bieten und man kann sie per GPX gut nachlaufen. Es ist bedauerlich, dass die Marathondistanz nur zulässt, die einzelnen Orte nur oberflächlich kennen zu lernen. Aber vielleicht wird man als Läufer ja dazu angeregt, noch einmal wieder nach Wetzlar zu kommen.
Fotos: M. Kunze, T. Henopp, O. Jatsch